Für Comedians ist es wichtig aufzutreten – je öfter desto besser.
Allerdings bringt es weniger, Shows einfach “abzuarbeiten” und von Bühne zu Bühne zu hetzen.
Wichtig ist auch eine gute Analyse des Auftritts, gerade wenn man neues Material getestet hat.
Welche Gags haben tatsächlich nicht funktioniert, welche doch und woran muss man trotzdem noch arbeiten?
In diesem Artikel möchte ich dir ein paar kleine Kniffe zeigen, die dir helfen können, das Beste aus allen Auftritten (gut oder nicht so gut) herauszuarbeiten, um dein Material stabiler und besser zu machen.
Dazu beschreibe ich hier einige Dinge, wie ich sie mache.
Was du davon ausprobieren und übernehmen willst, musst du wissen.
Jede(r) arbeitet anders und das ist auch gut. Im Großen und Ganzen geht es aber erstmal grundsätzlich darum, wie man ein gerade gespieltes, neues Set bewertet, analysiert und verbessern kann.
Schaue oder höre dir deine Aufnahme direkt an
Ich habe ja schon öfter hier betont, wie unerlässlich es ist, die Auftritte in irgendeiner Form mitzuschneiden. Wenn kein Video geht, dann wenigstens eine normale Tonaufnahme mit dem Handy.
Alles weitere dazu findest du in diesem Artikel:
Bessere Auftritte: Kein Bild, kein Ton – kaum Progression!
Warte nicht zu lange, bis du dir den Auftritt anschaust oder anhörst, denn die Eindrücke des Raums und der Bühne sind noch da. Das ist nicht unwichtig für eine gute Analyse.
Wenn du danach bereits weitere neue Open Mics gespielt hast, wird dir das Video sicher nicht mehr so helfen. Du hast vielleicht schon Sachen rausgeschmissen und kannst auch das Feeling am Abend nicht mehr rekonstruieren.
Ich höre mir meine Tonaufnahmen (meist nehme ich nur Ton auf) immer direkt auf dem Rückweg im Auto oder Zug an. Dabei versuche ich bei den neuen Gags auf alles zu achten: Ist das Setup gut, habe ich alle Informationen drin, wo wird es hakelig oder fange ich an zu schwafeln.
Parallel dazu (im Zug) oder spätestens beim zweiten Hören zu Hause folgt dann Schritt zwei…
Daumen hoch, Daumen runter: Bewerte die neuen Gags
Spätestens beim zweiten Durchhören achte ich genau auf die Reaktionen des Publikums. Sind da Lacher, wo ich sie haben will. Wie sind die Lacher, etc.
Anhand der Reaktionen vermerke ich mir auf meiner Setlist, wie gut ein Gag geklappt hat.
Ich mache das mit Pfeilen: Ganz nach oben, halb nach oben, zur Seite, halb nach unten, ganz nach unten.
Du kannst dir denken, wofür welcher Pfeil steht. 🙂
Wenn ich bei Gags/Bits, die nicht wie gewünscht funktionierten, schon einen Grund vermute, dann notiere ich mir diesen auch.
Hier eines meiner Sets mit drei ganz neuen Gags/Bits. Die Pfeile sind noch nicht ganz oben, gehen aber in die richtige Richtung.
„Kletterseil“ ist ein etwas längeres Bit, bei dem ich mir die ersten Eindrücke und Verbesserungen gleich notiert habe.
Ist nicht schlimm, wenn du nix lesen kannst – du sollst es ja auch bei deinen Bits anwenden. 🙂
Mit diesem kleinen System kannst du auch besser sehen, ob sich Nummern wirklich in die gewünschte Richtung (nach oben!) verbessern oder nicht. Ein Gag, der nach 5 Versuchen und verschiedenen Versionen nicht über die neutrale Pfeilstellung herauskommt, wird weggepackt – manchmal auch für immer.
Um diese Vergleiche machen zu können, wann wie ein Gag angekommen ist, brauchst du eine Art Archiv.
Nix einfacher als das:
Führe dein Setlist-Archiv
Gerade wenn du viel und oft auf den selben Bühnen unterwegs bist, solltest du dir notieren, was du wo gespielt hast.
Zum Einen ist es nicht so schön, immer mit denselben Punchlines auflaufen, selbst wenn sie immer besser werden. Stammpublikum wird deshalb nicht lauter lachen, sondern trotz Verbesserungen vielleicht gar nicht mehr.
Ich habe ein Extra-Notizbuch, in dem ich mir jeden Auftritt und die Setliste notiere. So sehe ich auch, ob ich Sachen vielleicht doch wieder spielen kann, weil mein letzter Auftritt dort mehr als ein Jahr zurückliegt.
Außerdem übernehme ich in diesem Buch auch meine Bewertungen der neuen Gags.
So sehe ich, wann und wo etwas gut oder noch nicht funktioniert hat.
Mit etwas Abstand und stark verbessert kann man es also nochmal versuchen.
Man sieht vielleicht auch, in welchen Läden und bei welchen Leuten gewisse Themen und Bits besser funktionieren. So einfach verbinde ich Archiv mit Analyse.
Dazu könntest du dir sogar die Eckdaten der Locations notieren. Größe, Altersstruktur, Bühnensituation, der Raum insgesamt, etc.
Wenn du irgendwann mal um die einhundert Shows, die meisten davon Open Mics, gespielt hast, wirst du dich sicher nicht mehr an diese Einzelheiten erinnern, geschweige denn eine Analyse vornehmen können.
Viele Comedians erinnern sich ja oft nicht mal an die Orte, in denen sie letzte Woche zu Gast waren.
Das Comedy-Life ist ein schnelles.
Wichtig: Bleibe objektiv bei deiner Analyse
Viele Comedians neigen dazu, alles schwärzer zu malen als es war.
Es ist oft eine Berufungs-Krankheit. Nach 10 Lachern macht man sich Sorgen, weil der Elfte nicht kam.
Manchmal kann es aber auch sein, gerade am Anfang, dass du deine Performance leider doch wesentlich besser einschätzt als sie war.
Für beides sind deine Aufnahmen das ultimative Beweismittel – wenn du objektiv bleibst.
Und auch einige Umstände mit einbeziehst. Wie war die Show besucht, an welcher Position hast du gespielt, passte das Publikum zu deinen Themen oder dein Alter, wie gut war das Line up insgesamt?
War jemand vor dir so gut oder schlecht, dass dies auch Auswirkungen gehabt hat?
In der Anfangsphase sind das alles Faktoren, die du, aufgrund deiner fehlenden Erfahrung und des limitierten Materials mit einbeziehen darfst.
Fun Fact: für erfahrene Comedians darf das alles keine Rolle mehr spielen und ist bestenfalls Ausredenkulisse, wenn sie nicht liefern konnten.
Tipp:
Um dich und deine Performance besser einschätzen zu lernen, versuche folgendes –
Gib deinen Gags einfach mal deine gefühlte Bewertung (Pfeile, Smileys, whatever) BEVOR du deine Aufnahme siehst/hörst. Schau mal, wie oft dich dein Gefühl täuscht.
Das wird es sicher – und zwar in beide Richtungen.
FAZIT
Eine gute Vorbereitung für einen Auftritt ist Gold wert – eine gute Nachbereitung ist Platin!
Eine gute Analyse hilft dir schneller Fehler abzustellen und dich selber auch besser einzuschätzen.
Ein Setlist-Archiv hilft dir dabei, den Überblick zu behalten und die Entwicklung deiner Bits nachzuvollziehen (Wenn du die Bewertung nutzt).
Außerdem ist es ein schönes Zeitdokument, welches dir bewusst macht, was und wo du schon überall gespielt hast – und vielleicht gerne wieder mal spielen willst!
Natürlich ist Comedy in erster Linie “Learning by doing” aber das „doing“ darf ruhig näher betrachtet werden. Oder anders gesagt: der Fortschritt zum guten Comedian kommt schneller, wenn man weiß. was man machen muss, weil man analysiert hat, was man getan hat!
Mehr Infos: www.mario-siegesmund.de
Danke für den neuen sehr interessanten Artikel!!!!
Sehr gerne, Marlene!
Jeder muss da sein System finden, mit man am besten fährt. Mir persönlich hilft es und vielleicht dann auch anderen. 🙂
Sehr hilfreicher Artikel wie immer.
Auf die Idee mit dem Setlist-Archiv bin ich auch gekommen
Bei meinem Setlist-Archiv schreibe ich zusätzlich immer noch dazu, wie lange die einzelnen Bits ungefähr waren.
Das hilft mir die 7,8 oder 10 Minuten die man so bekommt zu treffen.
Das mit den Pfeilen erscheint mir auch recht praktisch, muss ich mal ausprobieren.
Hallo Johannes!
Danke Dir für das Feedback. Das mit den Zeiten ist auch ein guter Punkt. Man hat zwar die Aufnahme mit der Zeit, aber bei der Setlist ist es sicher auch eine gute Hilfe.
Minuten sind ja bei uns auch eine wichtige Sache. 😉 Ist vielleicht auch mal einen kleinen Artikel wert…