Warum du (keine) Angst vor einem Shitstorm haben solltest!

Es wird heutzutage viel diskutiert, auch über Comedy. Und man ist froh, wenn überhaupt noch diskutiert wird, denn einige wollen noch nicht mal mehr das. Sie fällen Urteile und das bei Nichtgefallen sehr hart und laut – vor allem im Internet. Das Angstwort ist hier: Shitstorm!

Der Bammel davor kann sich auch auf die Bühne übertragen, wo es sogar im Publikum immer mal wieder zu Unmutsäußerungen kommen kann, sei es aus vermeintlichen “Qualitätsgründen” oder auch weil man eine politische Unkorrektheit ausgemacht hat.

Und scheinbar macht dieses “Klima”, bloß nichts falsches mehr sagen zu dürfen, einigen Newcomern zu schaffen. 

So erreichte mich vor ein paar Tagen die Nachricht einer Person, die meinen Blog liest und sich frisch als Comedian versucht. Der Kern der Mail lautete:

[…] Ich habe manchmal das Gefühl, dass man heutzutage keine Witze mehr auf Bühnen präsentieren darf,
bei denen ein Zuschauer meint, dass damit eine ganze Gruppe angegriffen wird, worauf sich dieser in
Social-Media-Plattformen echauffiert und sinnbildlich fordert, dem
Spaßmacher „gehört die Rübe abgeschlagen“.
Ich neige selber mittlerweile dazu, einige Gags gar nicht erst zu
bringen, um eben einen solchen Shitstorm zu vermeiden.
Vielleicht hast Du ja für den Blogbeitrag Tipps und Anregungen, wie man
damit umgehen kann.

Vielen Dank, 
M

Bevor ich hier aber mit den gewünschten Tipps oder Anregungen komme, müssen wir sicher noch den Begriff einordnen.

Was ist denn jetzt ein Shitstorm?

Drei dumme Kommentare unter dein Video oder ein blöder Zwischenruf aus dem Publikum ist natürlich noch kein Shitstorm. Du solltest dich besser an diese Dinge gewöhnen, ebenso wie du dich daran gewöhnen musst, dass der eine oder andere Gag (noch) nicht funktioniert und keiner lacht.
Denn die bittere Wahrheit ist: Es werden dich nie ALLE gut finden!

Natürlich versucht man am Anfang möglichst alle Leute mitzunehmen, die Themen sind entsprechend allgemein und man will, dass alle lachen.

Das wird nie passieren und das hat mehrere Gründe. Natürlich liegt es erstmal an deiner mangelnden Erfahrung. Außerdem sind die Leute natürlich nicht wegen dir in der Show. Mix-Show-Publikum ist wie die Show: im besten Falle bunt gemischt. 

Egal ob Open Mic oder kleinere, bezahlte Spots bei Mix-Shows, beides brauchst du, um dein Material zu erarbeiten und vor allem DICH auf der Bühne zu finden. Deine Stimme, deine Figur, deine Ansichten.

Das alles formt hoffentlich irgendwann deine Gags, so dass die Leute auf dich aufmerksam werden, dir folgen und irgendwann vielleicht tatsächlich wegen dir eine Show besuchen.

WER macht den Gag?

Als Comedian musst du mit der Zeit dein Profil schärfen, vielleicht auch “dein Thema” finden – und damit auch “dein” Publikum. Menschen, die sofort Tickets haben müssen, falls du irgendwann einmal Termine für ein Solo vorweisen kannst.

Da sind wir aber noch lange nicht. 🙂

Comedians, die bereits erfahrener sind und “ihr” Publikum gefunden haben, kommen deshalb mit Dingen durch, mit denen du eben nicht durchkommst – noch nicht.

Sollte ein Comedian über ein Thema als Betroffener Gags machen, dann hat er natürlich das Recht dazu.

Was dir also erstmal Sorgen macht, sind die Leute, die vielleicht nicht so reagieren, wie du es gerne hättest. Nimm sie als Ansporn, um besser zu werden. Überrasche sie mit deinen Gags so, dass sie gar nicht anders können als wenigstens zu lächeln – während andere sich neben ihnen auf die Schenkel schlagen. Damit hast du schon sehr viel erreicht.

Und falls dir doch mal jemand beim Auftritt dumm kommt, dann habe ich in diesem Artikel einige Vorschläge, damit umzugehen:


Deine Haltung muss klar sein!

Lange Zeit funktionierte Comedy in Deutschland so: man erfand eine Figur, die intellektuell, sozial und emotional, sagen wir, spürbar unterhalb des Zuschauer-Levels rangierte. Atze Schröder, Herbert Knebel, Cindy aus Marzahn, Heinz Becker, Paul Panzer – alle sind als sehr einfache Charaktere angelegt. Proll, meckernder Rentner, sozial Schwache, ständig verpeilter Typ – das alles wusste man quasi vom ersten Moment an, ohne auch nur einen Gag gehört zu haben. Man konnte es direkt an der Verkleidung ablesen. 

Es brauchte dann nicht mehr viel, diese Erwartungen dann zu erfüllen und mit ihnen zu spielen, um Gag zu erzeugen.

Die Gag-Schizophrenie

Wenn aber ein Heinz Becker dümmlich-grob über Mitbürger mit Migrationshintergrund schwadroniert, sagte niemand, was fällt denn dem Gerd Dudenhöffer, als Heinz Becker, ein, sondern die Figur war eben politisch nicht korrekt und somit konnte sie heikle Themen zu Gags verarbeiten. Die wurden toleriert, weil sie für die Figur authentisch waren und sie so ihren intellektuellen Offenbarungseid zeigten.

Alle Gemeinheiten wurden auf die Figur projiziert.

Bei der Stand up Comedy gibt es diese Gag-Schizophrenie nicht. Jede Aussage, jedes Setup und jede Punchline wird direkt mit dir verbunden. Du präsentierst dich als authentische Person. Durch Überhöhung entwickelst du vielleicht auch eine Art Figur deiner Person, aber alles fällt auf dich zurück.

Daher ist es wichtig dem Publikum schnell klarzumachen, wie deine Haltung zu Dingen ist, vor allem, wenn du heikle Themen ansprechen möchtest. Den Leuten muss klar sein, dass du eigentlich “gut” denkst obwohl du schlimme Dinge sagst – oder eben andere sagen lässt.

Schiebe es jemandem in die Schuhe!

Da du selber keine “Figur” sein willst, die unkorrekt redet oder handelt, erfinde einfach einen Trottel, der sich in deinen Geschichten entsprechend verhält und neben dem du als korrekte Person glänzt.
So kannst du Gags bringen und auf der Seite des Publikums deine Figur “fertig machen”.

Vorsicht! Dieser kleine Kniff rechtfertigt natürlich nicht alles.  

Gewisse Worte sollte man sich heute einfach verkneifen, selbst wenn man sich klar gegen die Verwendung positioniert oder sie andere sagen lässt.

Diese Erfahrung musste auch ein junger amerikanischer Comedian Brandt Tobler, der sich so smart fühlte, dass er unbedingt das “N-Wort” in einen seiner Jokes sagen wollte. Bei seinem einzigen Versuch, das Bit zu spielen, machte ihm eine schwarze Zuschauerin klar, dass dies natürlich nicht okay sei. Tobler musste in der Sekunde lernen, dass gewissen Worte eben nicht gehen, auch wenn er es jemand anderes sagen lässt und sich äußerst klar dagegen ausgesprochen hat. Durch die Reproduktion lebt das Wort auch weiter.

Merke: Ein Wort nur wegen des Effektes zu nutzen ist keine große Comedy-Kunst!

Grundregel: Je verminter das Thema, desto besser muss dein Gag sein!

Auch wenn deine Haltung klar ist und du einen Sündenbock für deine Geschichte hast, entbindet dich das nicht von der Aufgabe, handwerklich gut zu arbeiten, um deine Punchline nicht nur lustig, sondern auch wasserdicht zu machen.

Oft braucht es mehrere Überarbeitungen, bis ein Bit vom Aufbau bis zur Punchline mit jedem Wort passt.
Hüte dich bei ernsten Themen davor, gleich die erste Idee zu verwenden. Lass die Idee, das Thema lieber etwas länger reifen. Mit der Zeit stellen sich mehr Verbindungen her, eine Wendung mehr. Gehe damit erst auf eine Bühne, wenn du von allen notwendigen Seiten, auch mögliche Kritikpunkte durchdacht hast. Vielleicht kannst du diese sogar in dein Bit einbauen.

Das alles braucht aber auch Erfahrung, um mögliche Kritikpunkte vorauszusehen und sich darauf vorzubereiten, wie man, am besten lustig, darauf reagiert.
Versetze dich einfach in die Lage einer Person, die hier mit Kritik reagiert und mache dir vorher Gedanken, was du sagen kannst.

Bis es aber soweit ist, heißt es beim Herumspielen mit einer Idee immer Feuer frei!


Zensiere dich nur beim Schreiben NIEMALS

Allerdings musst du das Gespür dafür entwickeln, wie weit du als Figur und dein Gag gehen darf. Entschärfen kann man alles immer noch, meistens muss man es sogar. Vielleicht kennst du diese Gespräche mit besten Freunden oder Freundinnen, bei denen ihr euch beide sagt: 

“Zum Glück hat uns da niemand zugehört.” 

Es ist wichtig, dich für Gags gedanklich zu pushen, weiter zu denken, als andere das bei diesem Thema machen würden. In alle Richtungen. Nur so kannst du auch mit den Grenzen spielen und den Menschen glauben machen, dass du sie überschreiten wirst, obwohl du für deinen Gag schon eine ganz andere Idee hast.
Wenn du aber wirklich über die Grenzen gehen willst, dann geht das auch:

12 Minuten über Abtreibungen Witze machen? Geht!

Wenn du einige Erfahrungen gesammelt hast und genug Hirnmasse in ein Thema investierst, dann ist immer noch sehr viel möglich auf der Comedy-Bühne.

Was heute eben alles doch geht, beweist Comedian Anthony Jeselnik seit Jahren mit sehr vielen Tabu-Themen. Dieses 12-Minuten-Bit über eine Abtreibung zeigt sehr schön, wie er das Thema aufbaut, sich positioniert und trotzdem als er selbst wirklich harte Dinge sagen – über die gelacht wird.

Anthony Jeselnik Helps a Friend Get an Abortion | Netflix Is A Joke – YouTube

FAZIT:

Grundsätzlich solltest du erstmal keine Angst haben vor einem Shitstorm, aber den nötigen Respekt gegenüber gewissen Themen, um mit ihnen zu arbeiten. Kritik wird es immer geben. Wichtig ist, worauf sie sich bezieht. Ob du bei einem Thema von Betroffenen  oder von Nicht Betroffenen kritisiert wirst, ist da schon ein Unterschied.

Mache deine Haltung zum Thema ganz klar und lasse dir Zeit bei der Erarbeitung deiner Gags. 

Probiere dich erstmal lieber an ungefährlichen Themen, um deine Gag-Muskeln zu bekommen und auch ein Publikum einschätzen zu können. Du musst die Erfahrung sammeln, wann und wie du ein Bit etwas behutsamer aufbauen musst, um alle mitzunehmen.

Es wird sicher Gags geben, die du bei einem bestimmten Publikum eher entschärfen oder ganz weglassen musst.
Es bringt nichts, unbedingt der “edgy” Comedian zu sein, wenn du dafür noch nicht gut genug bist.
Taste dich langsam heran. Mit der Zeit kommt mehr Qualität in deine Gags, die du dann auch selbstbewusster vortragen kannst. Du musst dem Publikum zeigen, dass es dir hier vertrauen kann.

Letzten Endes musst du das gute Gefühl haben, dass der Gag sitzt und du dich mit ihm wohlfühlst – wenn du alle Spielregeln eingehalten hast. Das macht einen Shitstorm, in welcher Größe auch immer, wesentlich unwahrscheinlicher.


Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert