Vorweg: das neue Special “Look at you” von Taylor Tomlinson gefiel mir gut.
Gag-Dichte, Act outs, Tempo und Attitude passen und machen klar, warum Tomlinson gerade zurecht so erfolgreich ist. Sie ist eines der neuen Gesichter des amerikanischen Stand ups, keine Frage.
Ein wenig ausgeleiert finde ich mittlerweile nur das Thema “Eltern weird + Pubertät war die Hölle = Comedian”. Aber gut, es ist nun mal kein Klischee, sondern zu oft eine bittere Wahrheit, sich die Liebe der Welt als Lacher auf der Bühne zurückholen zu wollen.
Bei “Look at you” arbeitet sie aber auch mit einer Methode, die sich langsam aber sicher zum Standard im Stand up entwickelt. Gags über sehr persönliche Themen und Probleme. Sehr persönlich!
Patton Oswalt, Daniel Sloss, Hannah Gadsby sind nur einige Beispiele für die Verarbeitung von Verlust, Depression, Anders fühlen, etc.
Seinfeld vs. “Alles muss raus”
Die Zeiten, in denen sich ein Jerry Seinfeld über Rosinen und Hosenknöpfe lustig machte, scheinen ein wenig vorbei – heute muss wohl mindestens ein psychischer Knacks pro Special als Material aufgearbeitet werden.
Den Gag dazu bringt Tomlinson auch: “Ich wusste nicht, ob ich auf der Bühne darüber reden sollte. Aber, ich brauchte Material, also hieß es Schlussverkauf, alles muss raus!”
Stellt sich die Frage: Muss wirklich ALLES raus? Joa, wenn es so lustig ist…
Weiter spoilern möchte ich ihre Themen nicht. Verraten sei aber, dass es bei ihr funktioniert.
Sicherlich bewegt sie sich hier und da an der Klippe, aber sie stürzt nicht ab. Dafür sitzen die Gags und Stil. Als sehr gute Komikerin balanciert sie es doch irgendwie noch aus.
Man fragt sich, wie viele Therapiestunden auf der Couch und noch mehr, wie viele es auf der Bühne gebraucht hat, die Themen so auszuarbeiten.
Und es trifft zweifelsohne auch oft den Nerv des Publikums. Sachen anzusprechen, die persönlich sind aber insgeheim Viele betrifft. Es gehört mittlerweile zum neuen Ton im Special-Langformat.
Diese Entwicklung ist natürlich nicht ganz neu, aber die befürchtete “Nanette”isierung des Stand ups, (nach Hannah Gadsby´s gleichnamigen Special) findet hier noch nicht statt. Dafür ist “Look at you” dann doch wesentlich auf Gags und nicht Moral ausgelegt. Gerade bei den schweren Themen. Das ist gut.
Und ja, Stand up ist die persönlichste Form der Comedy. Und der persönliche Ton und die Authentizität macht Comedians und ihre Gags unverwechselbar. Aber, wie lange noch?
The Gags, They Are a-Changin’
Ich fände es schon schlimm, wenn man irgendwann mit den Namen von Comedians nichts mehr anfangen kann, sie aber nach ihrer Anamnese zuordnet.
“Der mit dem Depressions-Special”, “die Suizid-Storytellerin”, usw.
Und wenn man weiß, wie sehr die neue amerikanische Szene den Nachwuchs in Deutschland beeinflusst, steht zu befürchten, dass bald jede(r) krampfhaft seine “Auffälligkeiten” ins Rampenlicht zerrt, ohne sie selber aufgearbeitet zu haben.
Oder schlimmer noch: jetzt krampfhaft nach was sucht, um “Material” zu haben.
Es sollte sich niemand unter Druck gesetzt fühlen, den Seelen-Striptease in seine 15 Minuten safes Material drücken zu müssen.
Also: Lasst auch bitte eure Eltern aus der Comedy, wenn sie nicht wirklich explizit für euren Hau verantwortlich sind! 🙂
Die eigene Comedy wird von ganz alleine persönlicher, das ist ein natürlicher Prozess, der mit dem steigenden Beherrschen des Handwerks einhergehen sollte.
Damit man schwere Gewichte stemmen kann, müssen vorher leichtere Gewichte getragen werden, damit Muskeln und Gelenke es auch aushalten. Analogie Ende.
Und: Stand up Comedy sollte auch weiterhin ohne Therapieplatz möglich sein, bevor es zum “guten Ton” gehört.
Fazit zum Special:
“Look at you” hat alles, was ein modernes Comedy-Special heute bieten kann und will.
Gute Gags, verschiedene Tempi, persönliche Themen. Es ist eine Empfehlung und sicher auch Inspiration für viele (nicht nur weibliche!) Comedians. Es macht sicher Mut, auch persönliche Themen in die Comedy einzubringen. Das sollte aber besser in kleinen Dosen und mit Herantasten passieren.
Und nein, “Tinder” ist kein persönliches Thema!
Dennoch kann ich zum Schluss eine kleine “Unart” der neuen Comedy nicht unerwähnt lassen: Ich nenne es mal die Gags “moderieren”. Ein Anthony Jeselnik oder ein Jimmy Carr machen das, um ihr Publikum auf die harten Gags vorzubereiten.
Tomlinson macht es zwischendurch auch, dieses “ich erkläre euch jetzt schon, über was und warum ihr in vier Minuten lachen werdet.”
Auch wenn es klappt: Durch dieses “flexen” der Fähigkeiten kippt bei mir etwas die Sympathie. Vielleicht ist das aber auch nur meine verkrustete Sichtweise auf all die früheren „LoserInnen“, die heute Comedy machen und daher nicht zu Selbstsicher rüberkommen dürfe. Selbst bei dem, was sie am besten können.
Das kläre ich dann in meiner nächsten Therapiestunde.
Spaß, ich bin nicht in Therapie. Wird aber vielleicht Zeit…