Natürlich musste ich den Titel dieses Artikels möglichst reißerisch gestalten.
Hat funktioniert? Ich hoffe es!
Niemand kann und will dir wirklich verbieten, dass du dir die Kolleginnen und Kollegen anschaust, die es bereits geschafft haben. Es schadet nie, sich an den Besten zu orientieren.
Ich mache es ja auch und habe Spaß an einem guten Comedy-Special – allerdings nicht ständig, sondern bestenfalls phasenweise.
Das „Durchbingen“ sämtlicher Specials, gerade der Lieblings-Comedians, ist tückisch. Es täuscht darüber hinweg wie viel Arbeit darin steckt und kann mehr demotivieren als inspirieren. Gerade wenn man sich noch nicht so lange mit der Arbeit an Gags beschäftigt.
Comedy-Specials sind die „Roten Riesen“
Es muss dir immer bewusst sein, dass du das Endprodukt eines langen Prozesses siehst.
Jeder Gag ist bis zu mehrere hundert Male gesagt und vorher geschliffen worden.
Wir bekommen nur die Prämissen und Punchlines zu hören, die die letzten ein, zwei oder sogar drei Jahre überlebt haben. Das Beste vom Besten nach hunderten von Auftritten. Vom Testen beim Open Mic über den Ausbau bei Mix Shows und dem Feinschliff bei den Preview Shows vor einer Tour.
Das „Comedy-Special“ ist das letzte Kapitel dieser Gags. Es ist quasi eine Art „Roter Riese“: eine Sonne in ihrer größten Ausdehnung, kurz bevor sie für immer erlischt.
Und ich bin gerade selbst von diesem Vergleich ergriffen… 🙂
Nicht zu vergessen: Wir reden hier von Profis, die das schon seit Jahren machen und sich nur darauf konzentrieren können. Es ist schön, den Meisterinnen und Meistern zuzusehen, führt aber leider auch oft zu Selbstzweifeln. „Warum bin ich noch nicht auf dieses Thema gekommen?“ oder „So gut werde ich eh nie werden!“ Und das stimmt, so gut werden wir wahrscheinlich nicht werden.
Vor allem dann nicht, wenn wir nur zugucken, statt selber daran zu arbeiten.
Wer sich den ganzen Tag die schönsten Torten anguckt, der wird in erster Linie Lust auf Torte bekommen und nicht aufs Backen.
Auch den Großen der Branche fliegen die Gags nicht so zu. Ihre Erfahrung und die tägliche Arbeit können aber Prozesse verkürzen, sie schneller an ihr Ziel kommen lassen.
Ohne diese tägliche Arbeit keine Auftritte, ohne Auftritte keine Erfahrung, ohne Erfahrung… ich denke, du verstehst schon.
Wenn du schon eine Reihe von Auftritten bei Open Mics hinter dir hast, dann ist das für dich auch nichts Neues mehr. Trotzdem fallen wir alle dann und wann dahin zurück, uns mit offenen Mündern perfekt ausgearbeitete (und nicht selten geschnittene!) Specials anzusehen, um danach einen traurigen Blick auf unser Notizbuch zu werfen, in dem wir unsere Gag-Ruinen und Themenfetzen festhalten.
Als nächstes landen wohlmöglich Themen darin, die du in Specials aufgeschnappt hast – es sind aber nicht mehr deine Themen. Keine gute Grundlage für gute Gags.
Du hältst doch deine Ideen fest, wenn nicht schriftlich dann doch irgendwie?
In diesem Artikel erkläre ich, warum das lebensnotwendig ist für Comedians.
Deine Aufgabe ist es nicht, das nächste tolle Special bei Netflix und Co. rauszusuchen, sondern aus den Gag-Ruinen deiner Notizen ein in sich stimmiges Neubaugebiet zu errichten, in der alle Nachbarn miteinander auskommen.
Das war das letzte Sprachbild in diesem Artikel – versprochen.
Fahim Anwar macht es vor – und alle dürfen zusehen
Das Schöne in der Comedy ist ja, dass wir einfach mit unfertigen Ideen auf eine Bühne springen können.
Bei Open Mics weiß das Publikum ganz genau, dass sie Versuchskaninchen sind – zumindest sollten sie das wissen!
Manchmal funktionieren diese Ideen schon recht gut – und so einige Sachen werden nie wieder zu hören sein.
Und genau das ist der Startpunkt eines jeden Specials, egal ob es ein Chapelle, Burr, eine Silverman, Tomlinson oder ein Michael Mittermeier angeht.
Mittlerweile gibt es auch in Deutschland sogenannte „Try out“ Shows. Manche kennen sie schon als Shows, die vor einer Premiere angesetzt werden, damit der letzte Schliff gemacht wird.
Aber, es gibt auch Solo-Shows, bei denen Comedians quasi solo neue Ideen ausprobieren.
In Deutschland kenne ich es von Moritz Neumeier, der einfach kleine Shows mit günstigen Tickets angeboten hat, um dann quasi einen Abend lang Dinge getestet hat.
In Amerika hat das natürlich schon eine längere Tradition und wird gut angenommen.
Fahim Anwar, von mir wärmstens empfohlen, macht daraus sogar eine kleine Werkschau auf seinem Youtube Kanal.
Hier sieht man genau, wie frisch die Versuche sind, nicht nur, weil er die Stichworte direkt abliest. Manche Prämissen funktionieren gut, manche nicht. Wenn man sich selber mit Comedy beschäftigt sieht man genau, wie der Instinkt einsetzt, wenn eine Idee sitzt und Anwar sich dann weitere Taglines zu seinem Gedanken erarbeitet.
Seine Channel-Beschreibung fasst es am besten zuammen:
„I do a monthly show at the Comedy Store called Fahim Works on Stuff & His Friends Drop by where I diarrhea a bunch of new ideas for the first time and it’s fun. Gonna post from those shows every now and then on here so subscribe if ya’d like.“
FAZIT
Statt laufend die funkelnden Diamanten zu bestaunen, die Andere gefunden haben, sollten wir selber regelmäßig in die Punchline-Mine, um besser zu werden.
(Hast du ernsthaft geglaubt, es kommt kein Sprachbild mehr?) 🙂
Für die eigene Motivation kann es besser sein, sich den Anfang des Weges anzusehen und wie Comedy bei anderen „entsteht“. So wirst du daran erinnert, dass es keine Abkürzungen gibt, auch nicht für die Großen. Jeder Gag muss probiert werden. Wenn er noch nicht gut genug funktioniert, aber es wert ist, dann beginnt die Arbeit.
Schau dir an, wie ein Fahim Anwar es macht – aber vorher besorgst du dir deinen nächsten Spot bei einem Open Mic in deiner Nähe!
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